Gesetzliche Neuregelungen im Insolvenz- und Sanierungsrecht:

Gesetzliche Neuregelungen im Insolvenz- und Sanierungsrecht:

Pflicht zum Insolvenzantrag bleibt nur bei Überschuldung bis zum 31.12.2020 ausgesetzt, Laufzeit der Restschuldbefreiung wird verkürzt und ab Anfang 2021 wird Sanierung außerhalb eines Insolvenzverfahrens gestärkt

  • Insolvenzantragspflicht bei Überschuldung wird verlängert und bleibt bis zum
    31.12.2020 ausgesetzt 
  • Insolvenzantrag aufgrund Zahlungsunfähigkeit ist ab 01.10.2020 wieder unverzüglich, das heißt ohne schuldhaftes Zögern, zu stellen, spätestens aber binnen drei Wochen (§ 15a InsO)
  • Haftungsrisiken für Berater, Kreditgeber und Vertragspartner steigen wieder
  • Laufzeit der Restschuldbefreiung ab 01.10.2020 auf drei Jahre verkürzt
  • Anfang 2021 erfolgt Einführung eines Rechtsrahmens für Restrukturierungen, mit dem Insolvenzen frühzeitig abgewendet werden können

Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragsfrist nur noch bei Überschuldung

Der Bundesrat hat am 18.09.2020 die Verlängerung einer Ausnahmeregel für überschuldete Unternehmen in der Corona-Krise über den 30.09.2020 hinaus bis zum 31.12.2020 gebilligt, die der Bundestag am 17.09.2020 verabschiedet hatte. Damit bleibt die Pflicht zum Insolvenzantrag bis zum Jahresende 2020 ausgesetzt.

Unternehmen, die aufgrund der COVID-19-Pandemie überschuldet, aber nicht zahlungsunfähig sind, sollen auch weiterhin die Möglichkeit haben, sich unter Inanspruchnahme staatlicher Hilfsleistungen und im Rahmen außergerichtlicher Verhandlungen zu sanieren und zu finanzieren, ohne Insolvenzantrag stellen zu müssen

Ab dem 01.10.2020 müssen aber diejenigen Unternehmen, die zahlungsunfähig i.S. des
§ 17 InsO sind, gemäß § 15a InsO wieder unverzüglich, das heißt ohne schuldhaftes Zögern, Insolvenzantrag stellen, spätestens aber binnen drei Wochen. Die dreiwöchige Frist darf nur ausgeschöpft werden, wenn nicht nur bloße Hoffnungen auf eine Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit bestehen, sondern eine hinreichend konkrete Perspektive auf ihre Beseitigung gegeben ist. Die gesetzliche Vermutung gemäß § 1 S. 3 COVInsAG, dass Aussichten auf eine Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit bestehen, entfällt mit Ablauf des 30.09.2020, sodass wie vor Beginn der COVID-19-Pandemie die volle Darlegungs- und Beweislast für konkrete Aussichten auf eine Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit wieder bei der Geschäftsleitung des in Krise geratenen Unternehmens liegt.

Für ausschließlich überschuldete Unternehmen i.S. des § 19 InsO ändert sich die Rechtslage zunächst bis zum 31.12.2020 hingegen nicht. Die Insolvenzantragspflicht bleibt für sie weiter ausgesetzt, sofern die Voraussetzungen gemäß § 1 COVInsAG (die Überschuldung beruht auf der Pandemie und eine Sanierung ist nicht aussichtslos) weiterhin vorliegen.

Die Differenzierung zwischen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit bei der Verlängerung der Ausnahmeregel wird damit begründet, dass die Krise bei einer Zahlungsunfähigkeit regelmäßig bereits weiter fortgeschritten sei und das Unternehmen seinen laufenden finanziellen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen könne. Die Aussichten auf eine Fortführung der Tätigkeit seien hier auch unter normalen Umständen gering. Die Fortführung der Tätigkeit bereits zahlungsunfähiger Unternehmen führe zu unmittelbaren und erheblichen Belastungen des Rechts- und Wirtschaftsverkehrs. Sie sei darüber hinaus geeignet, das Vertrauen in die Integrität des Marktprozesses zu erschüttern. Anders als in der Ausnahmesituation zu Beginn der COVID-19-Pandemie und zur Zeit der Verabschiedung des COVInsAG, in der die Ereignisse sich überstürzt hatten und die Betroffenen Zeit und Gelegenheit benötigten, sich auf die Entwicklungen einzustellen, sei ein weiterer Insolvenzschutz für zahlungsunfähige Unternehmen aus Sicht des Gesetzgebers nicht mehr erforderlich und verhältnismäßig. Hinzu kommt, dass eine Überschuldungsprüfung auch auf einer Fortführungsprognose beruhe, die im Wesentlichen eine Liquiditätsprognose sei und sich üblicherweise auf einen Zeitraum von bis zwei Jahren beziehen sollte. Gegenwärtig könne dieser übliche Prognosezeitraum jedoch aufgrund der Unwägbarkeiten der COVID-19-Pandemie kaum zuverlässig beurteilt werden, da mit einer nachhaltigen Erholung erst ab Verfügbarkeit eines Impfstoffs für breite Bevölkerungskreise zu rechnen.

Lockerung des Maßstabs der Überschuldungsprüfung und dauerhafte Verlängerung der Insolvenzantragspflicht bei Überschuldung geplant

Daher sei, so das Bundesjustizministerium, beabsichtigt, mit einer weiteren für Anfang 2021 geplanten Gesetzesänderung künftig auch eine Lockerung des Maßstabes der Überschuldungsprüfung zu normieren, der auf die derzeitigen Prognoseunsicherheiten Rücksicht nimmt. Für die Prognose, ob ein Unternehmen zahlungsunfähig oder überschuldet ist, soll künftig statt eines zweijährigen ein einjähriger Prognosezeitraum reichen. Während der Corona-Krise soll der Zeitraum für die Prüfung, ob das Unternehmen fortgeführt werden kann, sogar auf vier Monate eingeschränkt werden. Dadurch soll verhindert werden, dass Unternehmen, die coronabedingt erhebliche Umsatzeinbrüche erleiden, Insolvenzanträge allein aufgrund krisenbedingt bestehender Prognoseunsicherheiten stellen müssen, betonte ein Sprecher des Ministeriums. Ferner soll für überschuldete Unternehmen die Frist zur Insolvenzantragstellung dauerhaft von drei auf sechs Wochen verlängert werden.

Haftungsrisiken für Berater, Kreditgeber und Vertragspartner steigen wieder

Durch die lediglich befristeten Regelungen des COVInsAG bzw. der nur partiellen Verlängerung für überschuldete Unternehmen steigt die Komplexität für Beurteilungen der wirtschaftlichen Lage und Aussichten im Rahmen der Prüfungsanforderung nicht nur für Geschäftsleitungen, sondern auch die Berater. Die Analysen erfordern im Einzelfall die Abschichtung einer Vielzahl unterschiedlicher Betrachtungszeiträume, nämlich bis Ende Februar 2020, von März bis September 2020, von Oktober bis Dezember 2020 und ab Anfang 2021.

Die haftungs- und anfechtungsrechtlichen Erleichterungen gemäß § 2 COVInsAG gelten zunächst auch nur noch für überschuldete Unternehmen über den 30.09.2020 hinaus bis zum 31.12.2020 fort. Für zahlungsunfähige Unternehmen entfällt diese Privilegierung bereits zum 01.10.2020 mit der Folge, dass Kreditgeber und Vertragspartner dann wieder den gewöhnlichen Insolvenzanfechtungs- und Haftungsrisiken aus der Vor-Corona-Zeit ausgesetzt sind.

Banken und anderweitige Kreditgeber werden neuerlich verstärkt darauf achten müssen, sich nicht einem Haftungsrisiko wegen Mitwirkung an einer Insolvenzverschleppung oder sittenwidrigen Schädigung nach § 826 BGB durch Kreditvergabe an zahlungsunfähige Unternehmen auszusetzen. Bei Kreditgewährungen ab dem 01.10. 2020 werden aus Sicht der Finanzierer valide Nachweise erforderlich, aus denen sich mindestens ergibt, dass die kreditnehmende Gesellschaft nicht zahlungsunfähig ist oder dass eine bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft durch die Kreditaufnahme zumindest wieder vollständig und nachhaltig beseitigt werden kann. Insbesondere mit Blick auf die ab dem 31.12.2020 auch bei Überschuldung wieder eintretende Insolvenzantragspflicht werden Kreditgeber auf der Vorlage eines Liquiditätsplans bestehen, aus dem sich ergibt, dass die Gesellschaft aus heutiger Sicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit im laufenden und mindestens kommenden Geschäftsjahr ausfinanziert ist, sodass auch nicht das Risiko einer drohenden Zahlungsunfähigkeit besteht und eine positive Fortbestehensprognose der Gesellschaft mit überwiegender Wahrscheinlichkeit bejaht werden kann.

Gläubiger sind zur Vermeidung von Forderungsausfällen gehalten, noch sensibler auf Anzeichen wirtschaftlicher Probleme ihrer Vertragspartner zu achten und rechtzeitig entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Hier kommen insbes. Anpassung der Zahlungsmodalitäten bei Neuverträgen wie z.B. Verkürzung von Zahlungszielen oder Lieferung von Ware nur noch gegen Vorkasse in Betracht. Schließlich sollte zwecks Vermeidung von Anfechtungsrisiken eine nachträgliche Änderung vertraglicher Parameter wie z.B. die Entgegennahme sog. inkongruenter Gegenleistungen, d.h. andere als die vom Vertragspartner geschuldeten Leistungen (z.B. Forderungsabtretung statt Barzahlung), vermieden werden.

Laufzeit der Restschuldbefreiung ab dem 01.10.2020 auf drei Jahre verkürzt

Die Bundesregierung hat am 01.07.2020 beschlossen, einen Gesetzesentwurf in den Bundestag einzubringen, nach dem die Laufzeit bis zu einer Restschuldbefreiung bereits ab dem 01.10.2020 auf drei Jahre verkürzt werden soll. Für Verbraucher soll diese Verkürzung nur befristet bis zum 30.6.2025 gelten.

Präventiver Restrukturierungsrahmen ab Anfang 2021

Anfang 2021 soll schließlich in Umsetzung einer EU-Richtlinie ein Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts in Kraft treten, mit dem Unternehmen die Möglichkeit eingeräumt werden soll, frühzeitig Sanierungen einzuleiten und ihr Sanierungskonzept außerhalb eines Insolvenzverfahrens durchsetzen zu können, sofern den Gläubigern eine realistische Perspektive aufgezeigt werden kann. Das neue Gesetz sieht insbesondere vor, dass einzelne Gläubiger – anders als bei einem bisherigen außergerichtlichen Vergleich – ein Sanierungsvorhaben nicht mehr blockieren können, wenn das Konzept von der Mehrheit der Gläubiger unterstützt wird.

So soll es beispielsweise in diesem neuen Rechtsrahmen möglich sein, belastende Verträge zu beenden, wenn der Vertragspartner nicht einer einvernehmlichen Anpassung oder Beendigung zustimmt, die zur Abwendung einer Insolvenz erforderlich ist.

Von diesen neuen Regelungen sollen insbesondere solche Unternehmen profitieren, die unter den wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie leiden, ohne dass ihr ansonsten überzeugendes Geschäftsmodell als solches in Frage gestellt werden müsste.

Der Autor:
Jean-Oliver BoghossianRechtsanwalt, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Geschäftsführender Gesellschafter

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